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Souveränität im Zahlungsverkehr

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Globale Handelskonflikte, Sanktionen und technologische Abhängigkeiten rücken einen alten Begriff verstärkt ins Zentrum der Debatte: Souveränität. Längst geht es dabei nicht mehr nur um territoriale Grenzen, sondern um den Schutz strategischer Ressourcen – von Datenhoheit über Produktionsketten bis hin zur Versorgungssicherheit. Besonders brisant ist die Frage, wie digitale Souveränität unsere Demokratie stützt und wie gut Deutschland in diesem Schlüsselbereich aufgestellt ist – auch im Hinblick auf die Zahlungsinfrastruktur. Jetzt gilt es, die richtigen Weichen zu stellen, um Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit rückt immer stärker ins öffentliche Bewusstsein – ob in politischen Diskussionen oder im privaten Alltag. Eigenständigkeit gilt längst nicht mehr nur als Tugend, sondern als strategischer Wettbewerbsvorteil. Parallel wächst das gesellschaftliche Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. „Made in Germany“ steht dabei nicht nur für Qualität, sondern auch für Vertrauen in verlässliche Strukturen. Doch hinter dem Begriff Souveränität verbirgt sich weit mehr als ein Schlagwort: Seine Bedeutung entfaltet sich in unterschiedlichen Dimensionen, die bestimmen, wie unabhängig ein Land agieren kann.

Dimensionen von Souveränität und Beispiele

Dass diese Bereiche ineinandergreifen, zeigt sich besonders deutlich beim Zahlungsverkehr: Als kritische Infrastruktur verbindet er alle Wirtschaftsbereiche und stellt die Weichen für die Handlungsfähigkeit unseres Landes. Mit der Vielfalt der Souveränitätsdimensionen zeigt sich auch deren Bedeutung für die deutsche Gesellschaft. Aber wie unabhängig ist unsere Demokratie wirklich – und wie viel ist sie bereit, dafür zu investieren?

Souveränität und ihre Bedeutung für die Demokratie

Der Wunsch nach Unabhängigkeit ist groß – das zeigen politische Debatten ebenso wie das Meinungsbild in der Öffentlichkeit. Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom sehen 95 Prozent aller befragten Unternehmen es als notwendig an, dass sich Deutschland von den USA unabhängiger macht. 84 Prozent sind der Meinung, dass die neue Bundesregierung die Stärkung der digitalen Souveränität priorisieren sollte. Verbraucher:innen teilen diese Einstellung: Erhebungen von infas quo zufolge glauben 65 Prozent der Befragten, dass außenpolitische Konflikte die deutsche Wirtschaft stark beeinflussen. Ein Drittel ist überzeugt, dass „made in Germany“ in Zukunft relevanter wird.1

„Digitale Souveränität ist die Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit, Handlungsfähigkeit und Sicherheit. Deutschlands Abhängigkeit von ausländischen Technologien macht Wirtschaft und Politik verwundbar und erpressbar. Wir brauchen deshalb eigene substanzielle Fähigkeiten in Schlüsseltechnologien wie Halbleiter, KI und Quantencomputing sowie eine leistungsfähige digitale Infrastruktur – das gilt auch für das digitale Bezahlen. Kundinnen und Kunden an der Supermarktkasse müssen sich ebenso auf zuverlässige Systeme verlassen können wie die Wirtschaft. Die Bundesregierung steht vor der großen Aufgabe, nach Jahrzehnten steigender technologischer Abhängigkeit nun eine Trendwende einzuleiten und Deutschlands digitale Souveränität in kurzer Zeit massiv zu stärken.“

Diese Haltung spiegelt sich in der Politik wider: Die neue Bundesregierung hat digitale Souveränität zu einem Kernziel erklärt und am 6. Mai 2025 das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) gegründet. Das BMDS übernimmt dabei eine zentrale Rolle: Standards setzen, Förderprogramme koordinieren und europäische Partnerschaften stärken. Die Europäische Union (EU) verfolgt mit dem Konzept der strategischen Autonomie einen ähnlichen Kurs und setzt konkrete Maßnahmen um.

Zahlungsautonomie: Wie unabhängig bezahlt Europa?

Wenn digitale Souveränität ein Fundament demokratischer Selbstbestimmung ist, dann gehört die Kontrolle über zentrale Infrastrukturen zwingend dazu – auch im Zahlungsverkehr. Derzeit werden rund 61 Prozent der Kartentransaktionen im Euroraum über internationale Zahlungssysteme abgewickelt2 – das birgt Risiken: Die Auswirkungen einer abhängigen Bezahlinfrastruktur wurden 2022 schlagartig deutlich, als große Zahlungssysteme ihre Dienste in Russland einstellten und ganze Wirtschaftszweige lahmlegten. Ereignisse wie diese führen vor Augen: Wer die Regeln des digitalen Zahlungsraums bestimmt, beeinflusst nicht nur wirtschaftliche Prozesse, sondern auch politische Gestaltungsspielräume. Entsprechend müssen wir uns fragen: Wie souverän ist Europa beim Bezahlen, und wie ist Deutschland aufgestellt?

„Heute stehen wir vor einer Zeitenwende im Zahlungsverkehr: Während neue Wettbewerber und Technologien den globalen Markt zunehmend verändern, fordern Cyberrisiken sowie politische Entwicklungen in Russland, China und den USA die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen heraus. Für die Zukunft Deutschlands und der EU ist es entscheidend, die eigene Souveränität im Zahlungsverkehr zu bewahren und zu schützen. Denn es geht hierbei nicht nur um strategische Unabhängigkeit, sondern auch um die Freiheit jedes Einzelnen, selbst zu entscheiden, wie er bezahlen möchte – ob bar, digital oder in Echtzeit. Um dies zu erreichen, müssen wir bei neuen Entwicklungen Vorreiter sein und uns konsequent für Technologien öffnen, die auf europäischer Infrastruktur basieren und unseren Werten von Datenschutz, Stabilität und Offenheit gerecht werden.“

Die gute Nachricht: Deutschland verfügt mit der girocard, der Debitkarte der deutschen Banken und Sparkassen, über eines der erfolgreichsten nationalen Zahlungssysteme Europas. Rund 100 Millionen ausgegebene Karten machen sie zur führenden Bezahlkarte hierzulande. Das eigenständige girocard-System entspricht höchsten Standards für Sicherheit und Datenschutz, stärkt die Wirtschaft vor Ort und ist passgenau für den hiesigen Markt entwickelt. Selbst internationale Partner erkennen die Stärke des deutschen Zahlungssystems: Die Schweiz plant, die girocard in ihre Zahlungsinfrastruktur zu integrieren. Ähnlich eigenständige Lösungen finden sich nur in wenigen anderen EU-Staaten: Frankreich kann sich auf die Carte Bancaire verlassen, in Belgien dominiert das eigenständige Bancontact-System. Die drei Erfolgsmodelle sind Vorzeigebeispiele für erfolgreiche Zahlungsautonomie.

Mit dem Blick über die Ländergrenzen hinweg entstehen derzeit ambitionierte paneuropäische Lösungen: Die European Payment Initiative (EPI) erarbeitet mit wero eine einheitliche, digitale Wallet-Lösung, die auf Echtzeit-Überweisungen zwischen Bankkonten basiert. Als alternative zu US-amerikanischen Anbietern können Europäer:innen dort per E-Mail-Adresse oder Telefonnummer Transaktionen tätigen. Parallel dazu treibt die Europäische Zentralbank (EZB) die Entwicklung des digitalen Euros als staatlich garantierte Ergänzung zu Bargeld voran, die für sämtliche digitale Zahlungen im Euroraum nutzbar sein soll. Eine neue Partnerschaft zwischen EPI und der European Payments Alliance (EuroPA) soll zudem bestehende nationale Bezahlsysteme in Europa verknüpfen und so grenzüberschreitende Zahlungen stärken.

Ausblick: Digitale Souveränität als Zukunftsaufgabe

Souveränität ist längst mehr als ein geopolitisches Prinzip. Sie ist zur strategischen Voraussetzung für wirtschaftliche Stabilität, demokratische Resilienz und technologische Gestaltungsfreiheit geworden. Wer in Schlüsselbereichen wie dem Zahlungsverkehr auf eigene Infrastrukturen setzt, stärkt nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern auch das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen.

Deutschland und Europa haben begonnen, die richtigen Weichen zu stellen. Doch digitale Souveränität ist eine dauerhafte Gestaltungsaufgabe. Eine Demokratie braucht genügend Eigenständigkeit, um handlungsfähig und selbstbestimmt zu sein, darf aber in einer vernetzten Welt auf Kooperation und Teilhabe bei internationalen Entscheidungsprozessen setzen, ohne ihre demokratische Legitimation zu verlieren. Die Balance zwischen nationaler Souveränität und internationaler Zusammenarbeit ist dabei eine fortwährende Herausforderung.

1 infas quo (2025): Vertrauen und Sicherheit 2025, repräsentative Umfrage mit 1.063 Personen
2 Umfrage der Europäischen Zentralbank (2025)