Fokus
ZAHLUNGSVERKEHR IN GEOPOLITISCH SCHWIERIGEN ZEITEN
Gastbeitrag von Kolja Gabriel, Geschäftsbereichsleiter Politik und Innovation im Bundesverband deutscher Banken
Technologische Abhängigkeiten und geopolitische Spannungen prägen zunehmend den Zahlungsverkehr in Europa. Die Weiterentwicklung souveräner Systeme wie der girocard zeigt: Zukunftsfähigkeit entsteht nur durch Zusammenarbeit.
Der Zahlungsverkehr ist nicht mehr nur operatives Rückgrat des Finanzsystems, sondern ein technologisch und politisch hochsensibles Feld. Zahlreiche Herausforderungen, mit denen viele Wirtschaftszweige konfrontiert sind, zeigen sich auch hier: Die starke Marktposition internationaler Anbieter in Europa wirft Fragen nach Souveränität auf, geopolitische Unsicherheiten erfordern Resilienz und auf technischer Seite steigen die regulatorischen Anforderungen.
In den Diskussionen wird häufig übersehen, dass eine stabile, wirksame Sicherheitsarchitektur nicht durch einzelne Maßnahmen oder isolierte Initiativen entstehen kann. Vielmehr erfordert sie ein gemeinsames Engagement auf nationaler wie europäischer Ebene.
Die girocard: kooperatives Erfolgsmodell mit strategischem Potenzial
Dass eine solche Kooperation erfolgreich sein kann, zeigt die deutsche girocard. Sie ist nicht das Ergebnis eines einzelnen Marktakteurs, sondern das Produkt eines über Jahrzehnte gewachsenen, gemeinsamen Prozesses. Banken und Sparkassen entwickelten gemeinsam mit Handel, Netzbetreibern und technischen Dienstleistern ein Zahlungssystem, das verlässlich, sicher und bei Verbraucher:innen akzeptiert ist. Trotz wachsender Konkurrenz behauptet die girocard ihre Position im deutschen Markt und ist fest im Alltag der Verbraucher:innen verankert.
Der zentrale Erfolgsfaktor dieses System liegt an der gemeinsamen Verantwortung aller Systemteilnehmer. Denn dessen Stabilität und Weiterentwicklung kann nicht von Einzelnen getragen werden, sondern erfordert ein Zusammenspiel aller Beteiligten. Die girocard ist damit nicht nur ein technisches Produkt, sondern Ausdruck eines kooperativen Verständnisses von Zahlungsverkehr und liefert wertvolle Impulse für die europäische Diskussion um Souveränität und Autonomie.
In vielen weiteren EU-Mitgliedsstaaten existieren leistungsfähige nationale Zahlungssysteme wie die girocard. Länder wie Frankreich, Belgien, Italien oder Dänemark zeigen, dass lokale Systeme hohe Akzeptanz und Effizienz erreichen können.
Europäische Vernetzung bestehender Systeme
Was auf nationaler Ebene gelingt, kann auch europäisch funktionieren. Bewährte nationale Systeme sollten systematisch ausgebaut und als Teil einer gemeinsamen europäischen Infrastruktur verstanden werden.
Ähnlich wie die girocard existieren in vielen weiteren EU-Mitgliedstaaten leistungsfähige nationale Zahlungssysteme. Länder wie Frankreich, Belgien, Italien oder Dänemark zeigen, dass lokale Systeme hohe Akzeptanz und Effizienz erreichen können. Doch bislang fehlt es in Europa an einer strukturierten und intelligenten Vernetzung dieser Systeme.
Voraussetzung dafür ist ein Commitment aller Beteiligten: Banken, Sparkassen, Handel und Politik müssen dieses Zusammenspiel gemeinsam vorantreiben, um Interoperabilität zwischen den nationalen Bezahlverfahren zu schaffen. Ziel muss es sein, Verbraucher:innen europaweit die Nutzung vertrauter Zahlungssysteme zu ermöglichen. Ein solcher Schritt wäre ein Gewinn für die Nutzerfreundlichkeit und ein Beitrag zur strategischen Autonomie Europas.
Kolja Gabriel übernahm 2023 die Geschäftsbereichsleitung Politik und Innovation im Bundesverband deutscher Banken. Zuvor leitete er das Brüsseler Büro des Bankenverbands und verantwortete die Themenbereiche Europa und Internationales. Der studierte Jurist ist bereits seit 2013 für den Verband tätig.

Digitale Souveränität braucht Kooperation
Die interoperable Weiterentwicklung bestehender Systeme verspricht schnellere Lösungen und eine effizientere Implementierung als ein rein staatlich gesteuertes Zahlverfahren. Dessen Aufbau ist komplex, ressourcenintensiv und mit erheblichen Anforderungen an Infrastruktur, Akzeptanz und Produktmanagement verbunden. Durch langwierige, abgekapselte Ausgestaltung droht ein Innovationsstau und im ungünstigsten Fall eine Schwächung bewährter Systeme wie der girocard, die bereits Vertrauen und Reichweite aufgebaut haben.
Daher sollte die Politik gezielt private europäische Initiativen stärken. Durch regulatorische Klarheit, die Förderung gemeinsamer technischer Standards und die Vereinfachung von Rahmenbedingungen könnten private europäische Anbieter tragfähige Lösungen entwickeln. Damit ließe sich ein erweitertes Angebot im Sinne der Verbraucher:innen schaffen: Nur wenn sie die ihnen bekannten Systeme akzeptieren und nutzen, kann digitale Souveränität praktisch wirksam werden.
Diese Entwicklung ist kein theoretisches Zukunftsszenario, sondern wird bereits für den Zahlungsverkehr im P2P-Bereich und E-Commerce vorangetrieben. Mit der European Payments Initiative (EPI) und der European Payments Alliance (EuroPA) entstehen derzeit zwei vielversprechende Projekte. Letzteres verknüpft nationale Zahlungssysteme aus Südeuropa und ermöglicht so Verbraucher:innen, ihre gewohnten Zahlungsmittel grenzüberschreitend zu nutzen. EPI wiederum bietet die Perspektive, diese Vernetzung nach Nordeuropa auszuweiten. Während die Entwicklungen abzuwarten sein werden, kann der Gedanke der Interoperabilität als Blaupause für die Weiterentwicklung kartengestützter Verfahren dienen.
Fazit:
Die girocard zeigt, wie durch Kooperation ein stabiles und erfolgreiches Zahlungssystem entstehen kann. Die Übertragung dieser Logik auf die europäische Ebene bedeutet: Eine wirksame politische Strategie muss auf Vernetzung bestehender Systeme setzen. Die Zusammenarbeit würde Vertrauen schaffen, Innovation fördern und dazu beitragen, die strategische Autonomie des Kontinents langfristig zu sichern.